15.1. Die Küste da vor uns will uns nicht so recht an sich heran lassen. Nach einigen schönen Stunden mit zwar schwachem, aber mitlaufendem Strom war der Spuk schon wieder vorbei und der Strompfeil begann, entgegen unserer Fahrtrichtung zu zeigen. Auch unsere Geschwindigkeit über Grund nahm wieder ab und das Wasser wurde wieder kabbelig, so dass die Genua ständig flappte.
Was tun? Wir wissen nicht, wie weit wir nach Süden oder vielleicht sogar nach Norden fahren müssten, um endlich aus diesem frustrierenden „falschen Förderband“ zu kommen. Wir können uns auch nicht recht vorstellen, wie die Ströme hier tatsächlich – und nicht auf dem Papier bzw. auf den Karten – verlaufen. Sind es lauter einzelne Wirbel aneinander gereiht? Oder doch verschiedene Bänder mit unterschiedlichen Breiten, die mal weiter nord- und dann wieder südwärts „treiben“?
Jedenfalls ergab die Lagebesprechung ein klares Verdikt: wir versuchen, hier mit genug Fahrt durchs Wasser gegenan zu kommen und machen nicht nochmals einen neuen Schlenker, sondern hoffen, dass wir irgendwann in einem spitzen Winkel ins richtige Stromband kommen.
Der Wetterbericht sagt, neben den leider unzutreffenden Stromangaben, auch voraus, dass der Wind ab Mittwochabend deutlich nachlassen werde. Diese Vorhersagen sind ja meistens eingetroffen. Somit steuern wir jetzt (es ist inzwischen Mittwochvormittag) so lange es geht möglichst etwas südlicher als der direkte West-Kurs wäre, damit wir dann beim Nachlassen mit Kursen höher am Wind noch immer segeln können. Da der Wind sehr böig ist, kann das Leonie nach wie vor nicht übernehmen: zu gross sind die Ausschläge, die sie wegen der wechselnden Anströmung durch den Fahrtwind macht. Deshalb steuert Erich, unser elektrischer Autopilot, nun schon seit Stunden.
Es wurde eine unruhige und anstrengende Nacht. Wir hatten eigentlich zu viel Segel oben (eben, um mit Power durch zu kommen). Durchs Wasser beschleunigte sea magiX in den stärkeren Böen auf Tempi teils über 8 und sogar 9 Knoten. Über Grund gab das manchmal immerhin 6… Aber weil Erich in diesen Momenten viel Energie frisst, um sea magiX nicht in den Wind schiessen zu lassen, reagierten wir jeweils schnell mit einer leichten Kursänderung ins Lee, um dann gleich wieder zurück zu korrigieren wenn die Bö nachliess, damit wir nicht mit flappenden Segeln quasi stehen blieben. Zudem trauen wir Erich ja nicht ganz so tief wie Leonie, denn ab und zu hat er noch immer Aussetzer, in denen er unverhofft auf standby stellt und das Ruder frei gibt. Das würde ebenfalls einen Sonnenschuss ergeben (ein in den Wind Schiessen), was bei 4-5 Bft und ausgebaumten Segeln ganz und gar nicht erwünscht ist. So verbrachten wir diese Nacht grösstenteils quasi am Steuer. Aber dafür hatten wir weiterhin wunderbares Mondlicht, das auch hinter den inzwischen häufigen Wolken stark genug war, um die Uhr ohne zusätzliches Licht ablesen zu können.
Auch unser blinder Passagier beehrte uns wieder, setzte sich aufs Bimini und blieb uns sogar während dem frühmorgens doch noch nötigen zweiten Reffmanöver treu. Ob es immer der gleiche Vogel ist? Oder immer ein anderes Exemplar der gleichen Art? Unverkennbar hinterliess er seine Spuren; nicht nur auf dem Bimini. Er hat auch gründlich auf unsere Flagge gesch… . (Wir wollen das nicht interpretieren. 😉) Trotzdem – wir sind gespannt, ob er auch heute Nacht wieder kommt. Tagsüber haben wir ihn übrigens nie gesehen.

Inzwischen ist es kurz vor Mittag (wir haben gestern ein weiteres Mal die Zeit umgestellt und sind jetzt bei UT-3, d.h. 4 Stunden hinter der Schweiz). Der Skipper hat die Angelleine wieder eingerollt: wir sind wieder im Sargassogras-Gebiet (ein Indiz für den anderen Strom?).
Der Wind lässt weiter nach. Bald wird der Gennaker zum Thema. Im Schiff ist es sehr warm, in der Sonne heiss. Im Plotter steht 12 SM südlich von uns „Guyana Current“. Vielleicht finden wir ihn doch noch irgendwann? Es besteht Hoffnung…
Andererseits – wenn wir keinen GPS hätten und vom Gegenstrom nichts wüssten: wie schön fänden wir dann diese Bedingungen!
So gesehen: Die Sonne scheint, die Solarpanels produzieren viel Strom, den wir gleich für den Wassermacher (und die Batterieladung) nutzen können, wir fahren auch bei wenig Wind mit 5.5-6.5 Knoten durchs Wasser, haben noch immer jeden Morgen frisches Obst für unser Müesli und für heute Abend noch immer genug Lauch, Kartoffeln und Rüebli für ein Linsen-Gemüse-Gericht, und können ganz entspannt auch die noch verbleibenden ca. 280 SM angehen. Wir stehen nicht unter Zeitdruck und sowohl sea magiX als auch ihre Crew sind fit und gesund. Es tut gut, sich den Luxus unserer Situation mal wieder in Erinnerung zu rufen.
