«… except in…»

Ganz Europa stöhnt unter einer ausgeprägten Hitze- und Trockenheitswelle, nur im Nordwesten Irlands und in Schottland spürt man nichts davon. Gefühlt lesen wir jeden Tag im Wetterbericht, dass es weiter südlich wärmer, schöner und trockener sei. Und immer kommt dann für unsere Region der Zusatz «except in…». Entweder ist es «mainly fair, except in occasional showers», oder die visibility ist “good, except in drizzle or rain”. Fertig damit – wir wollen nach Süden. Und so geht es mit dem angekündigten und tatsächlich am Freitag eingetroffenen Nordwestwind nicht zu früh am Freitagvormittag, 15. Juli los von Port Ellen in Richtung Irland. Drei Stunden lang wird uns der starke Strom mit ca. 2 Knoten nach Südosten, also teilweise weg vom gewünschten Kurs schieben. Dann sollte er drehen und uns nach Westen tragen, wo wir hinwollen, während am Nachmittag der Wind nachlassen sollte und das sonst sehr unangenehme Strom-gegen-Wind-Gewelle nicht zu schlimm werden sollte. Und siehe da – es geht tatsächlich auf. In einer Drizzle-Pause verlassen wir Islay und fahren südwärts. Mitten auf dem North Channel beginnt es aufzuklaren. Und am Nachmittag spielen Strom und Wind tatsächlich in unserem Sinn so zusammen, dass wir mit nur einem Kreuzschlag zum Malin Head, dem nördlichsten Kap Irlands kommen. Die Gastlandflagge kann von Schottland auf Irland gewechselt werden – nicht auf den Union Jack, der noch östlich von Malin Head gelten würde.

Dort wird es nochmals ziemlich bumpy im Stromrace mit Strom gegen Wind, auch wenn der nicht besonders stark bläst. Zwischen dem kleinen Inselchen Inishtrahull mit seinen vorgelagerten Felsen und dem Malin Head zieht das Wasser mit richtig viel Power durch. Die wie üblich neckisch auf der üblichen Abstandslinie zum Ufer ausgelegten Lobster-Pot-Bojen werden so unter Wasser gezogen, dass sie oft nur im letzten Moment erkannt werden können. Die ganze Crew sitzt auf der Kante und hält Ausschau, denn es wäre höchst unangenehm, hier zwischen den Felsen und in dieser sehr unruhigen See eine Trosse ums Ruder oder um den Kiel oder dazwischen zu wickeln. Der Strom zieht mit uns am Malin Head vorbei und bald danach dreht auch der Wind entlang der Küste und wird vorlicher. Mit diesem Kurs kommen wir nicht mehr so weit wie wir wollten, bevor der Strom dreht. Der Entscheid fällt, ins nächstmögliche Loch, nämlich das Loch (hier geschrieben Lough) Swilly zu zielen. Dort finden wir vor dem Örtchen Portsalon eine freie Visitor’s Mooring und binden zufrieden fest, um unsere warme Bouillon als Ankertrunk zu geniessen, während sich an der Pier die Kinder unter lautem Geschrei – teils ohne Neopren – ins 13 Grad kalte Wasser stürzen. Ist ja logisch – es ist tatsächlich fast sonnig und Mitte Juli. Wir schütteln die Köpfe und nehmen nochmals einen warmen Schluck aus dem Thermos.

Super, wir habens am Malin Head vorbei geschafft und jetzt ist klar, dass wir die Westseite Irlands hinunter segeln werden, wie wir uns das gewünscht und vorgestellt hatten. Bänz vervollständigt das Ausklarieren aus Grossbritannien. Das fühlt sich schon sehr komisch an, dass dies nun hier wieder nötig ist – die Erinnerungen an die diversen Karibikinseln mit ihrer sinnlosen Bürokratie kommen wieder auf. Was das den Briten nützen könnte? Es ist uns schleierhaft. Jedenfalls erhalten wir bald eine freundliche Rückmeldung «you are cleared to proceed» von Border Force. Und gleich darauf von der National Yachtline die Mitteilung, dass wir das Immigration Procedure befolgen müssten; da hat einer wohl die Nachricht nicht fertig gelesen und einfach die Standardantwort geschickt. Auch das eine Erinnerung an die karibische Bürokratie…

Eines wird auch sofort klar: ab jetzt sehen wir wieder maximal eine andere Segeljacht pro Tag, wenn Moorings vorhanden sind, ist meistens mindestens eine davon frei und ein Hafenrace wird es hier nicht geben. Wir atmen auf – so gefällt’s uns. Auch wenn wir den leisen Verdacht nicht loswerden, dass all die anderen Crews, die sich für den Ostweg entschieden haben, wohl eine einfachere und bequemere Reise vor sich haben. Und Tom wiederholt immer wieder gedankenversunken: «ob wir vielleicht gerade verkehrt herum unterwegs sind?», weil der Wind – natürlich – für die nächsten Tage vor allem aus südlichen und westlichen Richtungen kommen will. Aber nicht zu stark, und so macht uns das bis jetzt wenig Sorgen.  

Am Samstag, 16.7., ist das gewohnheitsmässig aufgehängte Regenverdeck morgens tatsächlich quasi trocken, abgesehen vom Morgentau. Wir räumen es schnell weg, bevor es wieder nass werden könnte, und machen uns auf den Weg westwärts. Wir sind schon fast ein wenig im Dilemma: tatsächlich segeln ohne Regenhose? Nur der Skipper wagt das Experiment. Tom und ich halten uns noch vorsichtig zurück von so viel Übermut. Bei ganz leichten Winden wird Bericht geschrieben, Angelmaterial zusammengesetzt und studiert und sogar zwei drei Seiten Krimi gelesen. Ach ja, so kann Sommersegeln auch sein!

Kurz bevor wir die Inishboffin Bay erreichen ist der Spuk vorbei und der Regen zurück. Eigentlich hiess es nur «isolated showers», aber wir haben wohl ein «except in Inishboffin Bay» übersehen… Der Abstecher zu Tory Island wird gestrichen – die Crew hat keine Lust auf weitere Meilen im Regen. Mit dem Regen fallen auch wieder die Temperaturen, so dass auch im Schiff mit grosser Selbstverständlichkeit die Kappen aufbleiben.

Am Sonntag, 17.7., geniesst auch der Nordwesten Irlands einen Ausläufer der – auch in (Süd-)Irland mit bis zu unglaublichen 27 Grad wütenden – Hitzewelle und wir können es auch in der Crew wagen, ohne Regenhose und mit nur zwei Schichten Merinowolle im Cockpit zu sitzen, während sea magiX mit den 7-10 Knoten Wind aus Süd und Südost ganz gemütlich und leise vor sich hin plätschernd südwestwärts gleitet. Ein paar verirrte Puffins gurren, die eine oder andere Möwe kommt uns inspizieren, sogar ein Schmetterling schafft es, uns als Zwischenstation zu nutzen. Ansonsten ist es sehr ruhig und friedlich bis kurz vor Arran Island, wo es dann zu ruhig wird und wir doch noch den Motor starten müssen.

A propos motoren: Wir haben inzwischen realisiert, bzw. uns daran erinnert, dass Diesel-Tanken in Irland ein etwas erschwertes Thema ist: markierter, d.h. zollfreier Diesel darf nicht an Pleasure Boats verkauft werden und so gibt es eigentlich in keinem Hafen direkt zugänglichen Diesel für uns. Wir müssen den, wenn wir ihn dann wollen, mit Kanistern von Land-Tankstellen holen. Aber momentan haben wir noch genug Treibstoff für ca. 250 SM und nicht vor, mehr als nötig zu motoren. Zudem will der Skipper den Tank inspizieren wenn er nah bei leer ist, denn wir hatten ja nach 2 Jahren Stillstand in den Filtern doch ein paar Rückstände gefunden. Aber das wird dann wohl erst später ein Thema.

Wir tuckern entlang den Leading Lines und zwischen den Steinen hindurch zur Arran Roads Bay und machen fest an einer Visitor’s Mooring. Bald danach wird klar, dass der Skipper unbedingt an eine Pier möchte, um frisches Wasser zu bunkern. Wir warten noch Hochwasser ab und beobachten den Rhythmus der Fähren, die hier etwa im Viertelstundentakt mit viel Garacho zur Pier-Innenseite fahren. Dann geht’s los. Aber sowohl an der Aussenseite, als auch am Kopf, als auch an der Innenseite ist es sehr schwellig und die Spundwand äusserst unfreundlich zu unseren Fendern – trotz Fenderbrett und einem sehr netten Herrn, der extra mit dem Pickup zur Pier gefahren ist und mir die Vorleine abnimmt  und meint, wir könnten auch die am äusseren Ende festgemachten Ribs nach aussen schieben. Mir wird’s nach 2 Minuten Achterbahnfahrt entlang einer Betonwand mit rostigen Verstrebungen sehr unwohl und auch der Skipper hat sich überzeugen lassen, dass es hier wohl nicht gut geht, lang genug festzumachen, um ein- und aussteigen zu können. Unter den Augen vieler Touristen, die sich hier eingefunden haben, gibt Bänz Vollgas rückwärts – und sieht erst beim Runden der Pier, dass die nächste Fähre gerade im Anmarsch ist. Aber deren Skipper hat wohl unseren Mast kommen sehen und winkt uns nur freundlich, während er einen Stopp macht und uns durchlässt.

Ok, das hat nicht so gut geklappt. Und so geht es mit den eh schon ausgefransten Nerven nicht zurück zur Boje, sondern entlang der sehr gut markierten und eng verschlungenen North Passage in den kleinen Fischerhafen Burtonport. Die Tide ist noch am Steigen und zieht uns mit viel Kraft durch die Passage, jeweils wenige Meter an den Felsen vorbei. Der Vorhalte-Winkel, um auf den diversen Leading Lines zu bleiben, ist jeweils eindrücklich. Tom ist bei voller Konzentration dabei. Sobald er nur wenige Meter von der Linie wegtreibt, kommt die Korrektur vom Navigator: mehr backbord! Nichts für schwache Nerven hier… und ich will gar nicht wissen, wie das wäre bei Nebel oder viel Wind.

In Burtonport liegt tatsächlich schon eine andere Yacht (eine Malö aus Schweden) auf der Aussenseite der Mole und wir gehen nach einem kurzen Blick in den vollen kleinen Hafen bei ihr längsseits. Die Suche nach dem berühmten Wasserhahn gestaltet sich schwierig, denn momentan wird der Hafen umgebaut und gleichzeitig ist hier gerade der Bär am Tanzen. Wir erfahren nachher, dass wir mitten im Burtonport Summer Festival gelandet sind. Ich ergreife irgendwann die Gelegenheit und frage ein Crewmitglied der Fähre, ob es hier einen Wasserhahn gebe. Und sofort zeigt sich die unglaubliche Freundlichkeit und Offenheit der Iren: seine Fähre hat soeben die letzte Fahrt des Tages hinter sich und wir dürfen bei ihm längsseits gehen für die Nacht, denn der Schlauch ist an seinem Heck an der Ecke des Piers über der Slipway. Der Ferry-Skipper macht auch extra die Seitentüre auf für uns und legt uns den Schlauch aus und meint nur, wir müssten dann morgen rechtzeitig vor der ersten Fähre um 08.00h (oder war es 07:45h?) verlegt haben.

Wir bekommen diverse Komplimente für das schöne Boot und natürlich auch die üblichen Fragen woher, wohin, etc. Und es ist bemerkenswert spürbar, dass wir hier willkommen sind. So schön – Irland, wie wir es vor 8 Jahren letztmals erlebt hatten.

Nach dem allgemeinen Wasser-Auffüllen geht’s noch mitten in die Party – wir bekommen im Lobster Pot Restaurant and Bar auf der Terrasse (! Ohne Regen und ohne x-fach-Fasi) sogar noch ein feines Znacht. Im Sichtschutz der Fähre und im Dämmerlicht gibt’s dann sogar noch die erste Borddusche im Cockpit – mit Bikini zwar und mit dem warmen Wasser aus dem Boiler, aber das Gefühl, dass der Sommer angekommen sei, lässt sich nicht mehr vollständig verscheuchen.

Und auch heute, Montag, 18.7., ist er noch da. Die nächste Front ist erst für Mittwoch angesagt und wir wollen die nutzen, um nach Westen und Süden zu kommen. Ungefähres Ziel wäre für das Ende der Woche, in Galway oder nahe dort zu sein, damit Tom von dort nach Dublin auf den Flieger reisen kann. Mal sehen. Jedenfalls war heute Morgen kein vernünftiger Wind für die 70-90 SM angesagt, die wir da nach Südwesten vor uns haben, und nach dem Verlegen an die andere Fähre (Ferry-Skipper O-Ton: «oh, you’ll be all right alongside that, we probably won’t need it today») fällt der Entscheid, nochmals einen Tag hier zu bleiben und auf den Wind zu warten. Inzwischen hat sich der Morgennebel gelichtet und die Sonne dringt tatsächlich durch die Wolken; es bläst kein Lüftchen mehr und ich kann ohne Faserpelz im Cockpit sitzen und schreiben, an der Reling hängt völlig ungewohnt mein Bikini zum Trocknen von der Cockpitdusche gestern und die Herren laufen nur noch in Shorts und T-shirt umher. Etwas später gibts noch einen Spaziergang entlang der stillgelegten Eisenbahngleise, die ein Unternehmer im 19. Jh. hier bauen liess, um den Heringsreichtum ins Landesinnere zu transportieren. Aber es war nicht so erfolgreich; zweimal wurde die Lok in Stürmen von den Geleisen geblasen! Am Wasser bestaunen wir auch die Seaweed-Sammelvorgänge. Wie genau das geht, und wozu genau dieses Seaweed genutzt wird, können wir nicht sofort herausfinden, denn es ist gerade niemand da zum Ausfragen. Vielleicht bei anderer Gelegenheit? Burtonport wirkt, wie wenn nicht nur der Hafen «under construction» sei. Aber wir finden es trotzdem sympathisch.

Wer weiss; vielleicht können wir die Wörtchen «except in…» bald auch in positivem Kontext hören? Leider sind inzwischen die Wolken da, die Temperatur ist auf gemäss Met Eireann «more typical levels» zurück gegangen und der Sommer ist fürs erste hier wohl schon wieder vorbei. Mal sehen, was die nächsten Tage bringen an «except ins…»!


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