Philipsburg. Und: es gibt Schlimmeres…

Es ist Mittwochabend, 29.1., und wir liegen wieder in der Marigot Bay und warten noch immer auf die Auferstehung des Passats. Wahrscheinlich etwa bis Freitag oder Samstag. Aber ehrlich – es gibt Schlimmeres, als am Anker zu liegen, sanft hin und her zu schwoien und von grossen Schildkröten ganz nah umkreist zu werden… Wieder einmal geniessen wir den unglaublichen Luxus, genug Zeit zu haben. Auch wenn meine Abreise unerbittlich näher rückt, so haben wir noch immer zwei Wochen Zeit für eine Strecke von ca. 200SM, die wir schlimmstenfalls in weniger als 2 Tagen und Nächten am Stück segeln könnten. Zwei Wochen ist das, was viele andere am Anfang ihres Törns vor sich haben – wir sind uns dessen absolut bewusst. Und so geniessen wir auch dieses Warten hier auf St. Martin.

Gestern hatten wir eigentlich vorgehabt, zur kleinen Insel Tintamare zu tuckern. Das ist eine wirklich schöne, klassische, kleine Koralleninsel an der Nordostecke von St. Martin und ein beliebtes Tages-Ausflugsziel. Aber der schon fast an Landregen erinnernde Niederschlag, die tief hängenden Wolken, die die Hügel um Grand Case in Nebel hüllten und das allgemeine Grau-in-Grau wirkten nicht besonders einladend. Wir warteten noch ein Weilchen in der Bucht, bearbeiteten Emails, lasen und räumten auf, aber als es aufgehört hatte, zu regnen, war uns die Lust auf die Badeinsel vergangen. So tuckerten wir stattdessen hierher zurück in die Anse de Marigot und suchten uns einen Platz etwas weiter aussen und weiter weg vom Kanal in die Lagune.

Bänz fuhr mit dem Dinghi und den Kanistern zum Tanken für Diesel und Benzin und brachte die tote Starterbatterie wie besprochen zum Autohändler zurück. Am Rückweg gab es einen längeren Schnack mit Michael und Sally Glatz vom Shrimpy’s. Michael erzählte auch von Irma und über den Wiederaufbau seither. Für ihn war das Schlimmste das auf die Naturkatastrophe folgende Plündern gewesen, und dass er danach gezwungen war, Benzin zu 10 USD von den Plünderern abzukaufen. Dies erklärt für mich die hohe Dichte an Security-Personal, die uns hier schon aufgefallen war. Jene traurige Erfahrung über wie dünn unser Zivilisationslack eigentlich ist, hallt wohl heute noch nach.

Am Nachmittag sattelten wir dann das Dinghi nochmals und fuhren diesmal zum Dinghysteg bei der Gare Maritime. Wir wollten einmal ums Fort spazieren, nachdem inzwischen auch das Wetter trockener und freundlicher geworden war. Unterwegs wurden wir von einem Hund kurzerhand adoptiert, der uns den ganzen Weg begleitete, und mich immer nur fragend ansah, wenn ich ihn wieder zurück zu schicken versuchte. Er spricht wohl kein Schweizerdeutsch und hatte offensichtlich auch Mühe mit meinem Akzent im Französisch. Er verliess uns erst, als wir zum Super-U einbogen. Da hatte er wohl schon schlechte Erfahrungen gemacht.

Heute ist Mittwoch und mittwochs und samstags findet immer der Markt statt bei der Gare Maritime in Marigot. Heute Morgen konnte ich deshalb mein Gefühl der Hoffnungslosigkeit für Marigot mindestens teilweise revidieren. Als wir heute Morgen zum Dinghysteg dort kamen, staunten wir nicht schlecht über den vollen Parkplatz. Ein Bus von der «Viking Sea» reihte sich an den anderen. Touristen schwärmten über den Platz und die Tischchen vor diversen Restaurants und Cafés waren gut besetzt. Ich bin froh, dass zumindest dieser Tagestourismus anscheinend doch noch immer (oder wieder) an gewissen Tagen funktioniert.

Wir hatten uns gestern im Vorbeigehen schon informiert, dass die Minivan-Busse regelmässig ab der Busstation beim Stadion nach Philipsburg fahren. So fanden wir uns heute gegen halb zehn Uhr morgens, als die heftigsten Morgenschauer vorbei waren, dort ein, zahlten unsere 2USD pro Person für die Fahrt und liessen uns etwa 45 Minuten quer durch die Insel auf die Ex-Holländische Seite kutschieren. Der Fahrer war weniger gut gelaunt als andere, schimpfte mit anderen Verkehrsteilnehmern und kommunizierte ansonsten nur mit Zeichen, aber man kann ja nicht immer alles haben. Bis wir in Philipsburg angekommen waren, hatten sich die Morgenwolken verzogen und es war sonnig und heiss. Der Fahrer deponierte uns in einer der Haupteinkaufsstrassen und meinte, von dieser Strasse aus könnten wir dann auch jederzeit wieder einen Bus zurück finden. Ok, das würde schon irgendwie klappen. Er war wohl irritiert gewesen, weil wir einfach sitzen blieben, in der Annahme, dass er bis zu einer Busstation fahren würde, wie in Marigot. Aber ich glaube, er war schon wieder am Rückweg, als wir ausstiegen.

Philipsburg und das, was wir von der holländischen Seite von SXM gesehen hatten, ist tatsächlich besser in Schuss als Marigot. An einem Schild lasen wir, dass es einen Wiederaufbau-Fonds von USD 550 Mio gebe, mit welchem bis 2025 «rebuilding a better SXM» finanziert werden solle. Der Skipper trocken: «Naja, mit solchen Finanzen kann man wohl das eine oder andere Häuschen wieder aufstellen». Und tatsächlich, an der Beachfront erstrahlen die meisten Häuser in neuem Glanz, wenn auch teilweise noch hinter Gerüsten. Am Kreuzfahrtterminal liegen heute 7 Kreuzfahrtschiffe. Der Sandstrand mit seinen farbigen Schirmen und den Angeboten von 2 Liegestühlen, einem Sonnenschirm, zwei Drinks und free Wifi für USD 25.- ist gut besetzt und im Wasser (dessen Qualität wohl nicht ganz über alle Zweifel erhaben ist in dieser Bucht) tummeln sich die Kreuzfahrtpassagiere gemeinsam mit den Hotelgästen. Die Strassen dahinter mit ihren unzähligen Duty-Free Juwelieren, Elektronik- und Kleidermarken-Läden sind voll von Touristen und an jeder Ecke werden sie in die Läden «just to have a look» eingeladen. Mir fällt auf, dass wir weniger angesprochen werden – sehen wohl irgendwie nicht ganz so zahlungskräftig aus. Da Bänzs billige Segeluhr gerade heute Morgen den Geist aufgegeben hat, erstehen wir in einem solchen Laden eine neue, ebenso billige, bzw. vom angeschriebenen Preis von USD 75 auf 30 heruntergekommene. Der Verkäufer kam von seiner Seite her so schnell herunter, dass der Käufer gar nichts machen musste. Dass dies ein schales Gefühl beim Käufer hinterlassen kann, wusste ich aus der Verkaufstheorie. Heute konnte ich es selbst erleben.

In der Marina standen wir bei Island Water World vor verschlossenen Türen – Mittagspause. Naja, vielleicht nicht so schlimm, da somit dort keine Ausgaben (sagt sich zumindest die Crew). Die Marina selbst sieht für unsere Erinnerung unverändert aus. Nur auf dem Werftgelände dahinter stehen einige ziemlich lädierte Schiffe herum, aber sie liegen nicht noch immer dort, wo sie vor zwei Jahren hingeworfen worden waren. Wieder im Ladengetümmel suchen wir noch nach einem neuen mobilen Hotspot. Unser Netgear-Gerät hat ebenfalls begonnen, zu schwächeln. Da sind wir jedoch weniger erfolgreich, obwohl wir sehr freundlich von einem Laden zum nächsten verwiesen werden. Übrigens fällt uns auf, dass viele Elektronikläden hier von Indern betrieben werden. Am (erfolglosen) Weg zu einem weiteren Elektronikanbieter kommen wir bei einem sehr sympathischen Beizlein mit Spanischsprechenden Betreiberinnen vorbei, in dem wir uns zwei feine Grilled Chicken Breasts, Fries and Salad mit Bier für insgesamt USD 18.50 leisten.

Philipsburg mit seinem Duty-Free-Leben ermüdet uns stark. Es ist nicht so unsere Welt. Wir haben schon bald genug davon und steigen recht spontan in einen Minivan zurück, machen noch kurz einen Abstecher zu einem Näh-Atelier, bei dem wir uns informieren, ob er mit seiner Maschine zwei Einnäher (naja, auf Französisch wurden das dann einfache Nähte!) für unser provisorisches Dinghycover aus einem Segelsack nähen könnte («Si tu me l’apportes, je peux te dire si c’est possible»), und sind dann bald sehr froh um den Sprung ins Wasser und die Ruhe an Bord.

Jetzt sitzen wir gemütlich im Cockpit, die Sonne ist soeben untergegangen, kleine Wellchen wiegen Sea magiX sanft hin und her, gelegentlich taucht eine Wasserschildkröte ganz nah beim Boot mit einem leisen Schnaufen auf und wir haben es – einfach schön. Eben – es gibt Schlimmeres, als auf die Auferstehung des Passats zu warten…


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