Treppchenrauf und -runter

«Clachnaharry Sea Lock, Clachnaharry Sea Lock, this is sailing yacht sea magiX, sea magiX”… Das morgens um 08h fehlerfrei auszusprechen ist gar nicht so einfach. Beim zweiten Aufruf ziehe ich mich auf «Caledonian Canal Lock» zurück – viel einfacher! Und wir bekommen schnell und freundlich Antwort, dass wir gleich auch um 08:30h mit den anderen Booten, die sich schon angemeldet haben, in die Schleuse dürfen. So beginnt eine mehrtägige Reise durchs Schottische Hochland. In deren Verlauf lernen wir quasi fehlerfreies Schleusen, beobachten, wie man es nicht machen soll, könnten Smileys oder Sternchen für die nettesten Lock-Keepers verteilen und sehen viele wunderschöne Landschaften, grüne Kanalabschnitte, waldige Ufer und natürlich auch – Loch Ness. Nur Nessie hat sich verzogen, aber da ists auch gerade etwas rauh und kalt auf ihrem See und ich würde mich auch in eine gemütliche Höhle irgendwo weit unten im tiefen See verkriechen an ihrer Stelle.

Bei schönem und trockenem Wetter (wir hätten es wohl etwas stärker wahrnehmen und geniessen sollen) starten wir die Reise in Inverness, bzw. eben Clachnaharry Lock. Danach gibt’s schon die erste Wartepause von ca. 3 Stunden in der Seaport Marina, bevor wir durch den Muirtown Flight mit 4 Schleusen nacheinander gehen können. Hier lernen wir unsere Mitreisenden Ursi und Volker von der Soul Mate kennen; eine Ovni 39 mit Schweizer Flagge und sehr sympathischen und geselligen Eignern. Ebenso lernen wir, dass man in den Flights jeweils vom Lockkeeper in Empfang genommen wird, d.h. man darf ihm/ihr die lange Leine hoch werfen (es sind teils ca. 4m bis hinauf) und sie wird von ihm/ihr um den Haken gelegt. Oben angekommen steigt die Crew dann aus und spaziert mit den Leinen in die nächste Schleuse und wiederholt dies, bis der Flight durch ist. Anfangs wird vom Schleusenwärter auch koordiniert, in welcher Reihenfolge wer auf welcher Seite hereinkommt. Dies bleibt dann für die folgenden Schleusen so bestehen bis zum Tagesende, dh. wir reisen zwischen den Schleusen meistens quasi im Konvoi weiter.

Das Wasser sprudelt mit viel Kraft in die Schleusen und vor allem der vorderste Platz kann beim Hinaufschleusen anspruchsvoll sein bei so viel Zug auf den Leinen.

So kommen wir am ersten Tag von Inverness bis ins Loch Ness. Dort bläst uns der Wind mit ca. 4 Bft und unangenehmen kurzen Wellen direkt den See entlang entgegen. Eigentlich möchten wir noch bis Fort Augustus am anderen Ende des ca. 20 SM langen und schmalen Sees gelangen, aber mit Motoren macht das keinen Spass und so ergibt sich eine ca. 2-3 stündige Kreuz bis zur Bucht von Foyers, wo wir uns einen gut geschützten Ankerplatz suchen.

Am zweiten Tag kachelt es noch immer und regnet dazu mit mehr als nur Drizzle, als wir um 6h die Augen öffnen. Der Wind soll am Nachmittag nachlassen; das beschert uns den Ruhetag, den Sandra mit ihrem Buch, Bänz mit dem Nachziehen des Riggs und diversen anderen Pendenzen und ich mit dem Nachführen dieser Zeilen verbringen. Sehr gemütlich. Und siehe da, um 16h lässt das Pfeifen in den Wanten tatsächlich nach und als wir um 17h oder bald danach starten, hat es schon so weit abgestellt, dass wir einige Zeit lang ziemlich löchrigen, bzw. sehr böigen Wind mit zwischen 3.5 und 17 Knoten haben, bei denen sogar unsere gutmütige X-37 gelegentlich bockig wird. Aber dieser zweite Abschnitt unserer Loch-Ness-Querung ist trotzdem sehr viel angenehmer als jener am Vortag, auch wenn wir Nessie nicht sichten können. Die Ufer des Sees sind mit Tannen- und Laubwäldern überzogen, dazwischen blinzelt manchmal das eine oder andere grössere Anwesen hervor und über dem Ganzen ziehen die Wolken tief und schnell vorbei und bescheren uns immer wieder neue Beleuchtungstricks. Nur Vögel sehen wir keine – es ist diesbezüglich sehr ruhig hier auf dem Wasser.

In Fort Augustus ist der Steg platschvoll, aber Ursi und Volker von der Soul Mate haben uns kommen sehen und winken uns zu sich ins Päckli. Sehr liebenswürdig! Der Spaziergang nach dem Znacht findet erst beim Eindunkeln statt, d.h. ca. um 23h. Aber hier oben im Norden ist das ja kein Problem – dunkel wird’s nicht wirklich.

Am dritten Tag dieser Kanalfahrt, dem Donnerstag, 7.7., können wir nach einem wunderschönen, sonnigen Tagesstart (Danke Sandra für die schönen Fotos! Good to know, dass es hier auch so aussehen kann!) etwa um 10:30h in die Fort Augustus Schleusengruppe einfahren und werden dort zum Fotosujet für unzählige Touristen. Fort Augustus ist der Tourismus-Hotspot für Loch Ness und die Schleusen sind ein Teil der Attraktion. Einziger Wermutstropfen ist das Landschaftsgärtner-Team, das mit viel Lärm schön von Schleuse zu Schleuse mit uns hoch kommt und jeweils parallel zu unseren Verschiebungen den Rasen und die Ränder mäht. Viel Lärm und viel Gras auf dem Boot. Wir können uns nur per Handzeichen verständigen und verstehen auch die Anweisungen der Schleusenwärter kaum. Und diesmal nicht wegen ihres schottischen Dialekts ;-).

Durch schönste Kanallandschaften im gut betonnten Fahrwasser kommen wir zum Kytra Lock, wo der Schleusenwärter offensichtlich sehr Hunger hat und mit seiner schroffen, gestressten Art den Saure-Gurken-Preis unter den Schleusenwärtern bekommen würde. Vor den Cullochy Locks gibt’s nochmals eine Pause, denn dieser Lock Keeper sitzt jetzt in seinem Bus und verspeist sein Sandwich.

Durch Loch Oich danach führt uns die Betonnung in gewundenen Wegen zwischen Inselchen hindurch und an breiten Buchten vorbei. Manchmal wird’s fast dunkel wenn der Kanal von hohen Bäumen gesäumt und schmal ist. Dann öffnet sich die Landschaft wieder vor den Laggan Locks und Loch Lochy. Hier bleiben die Soul Mates für die Nacht und wir ziehen weiter – erste Schleuse abwärts. Die 3-4 Höhenmeter machen jedoch punkto Temperaturen leider keinen Unterschied. Loch Lochy wirkt nicht nur wegen der Highlands-Landschaft wie ein Bergsee, sondern auch, weil wir hier schon das Gefühl bekommen, wir könnten die Wolken berühren, so tief hängen sie. Dazu bläst uns wieder ein kalter Wind mit 4 Bft auf die Nase und treibt uns den Drizzle in die Augen.

Wir lassen Erich, unseren elektrischen Autopiloten steuern und verkriechen uns hinter das Sprayhood.

Ben Nevis wäre hier links, aber er bzw. die ganze Welt ist in dichte Wolken gehüllt. Für einen kurzen Moment reissen die auf und wir glauben, einen Blick auf den höchsten Berg Grossbritanniens mit 1345müM zu erhaschen. Täuschen wir uns wegen der beissend kalten Temperatur oder liegt dort tatsächlich Schnee?

Am Ende von Loch Lochy, vor den Gairloch Top Locks, legen wir uns an einen Pontoon für die Nacht. Es ist kurz vor 18h und da ist niemand mehr da, der die Schleuse und danach die Brücke bedient. Morgen geht’s dann weiter: der letzte Abschnitt mit dem Neptune’s Staircase steht bevor; ein berühmter Flight von 8 Schleusen, der 19m Höhendifferenz überwindet (in unserem Fall abwärts wieder in die Nähe von Meereshöhe) und gemäss Beschrieb etwa 90 Minuten für die Durchfahrt benötige. Wir sind gespannt. Anscheinend ist auch auf dieser Seite des Kanals Personalmangel das Problem und es könnte sein, dass wir hier morgen nochmals hängen bleiben. Mal luege – wir können es sowieso nicht erzwingen.

Der Tag hat uns diverse Betrachtungsmöglichkeiten über das schottische Wetter gegeben: wir haben den Unterschied zwischen 97% Luftfeuchtigkeit und echtem Drizzle, aber auch jenen zwischen «light rain» und «drizzle» erfahren. Morgen will ich herausfinden, ob die Schotten ein eigenes Wort für dieses Nebel-Regen-Zwischending haben. Vielleicht etwas wie «draizzle»? Mit Wehmut sehen wir den Metoffice-Wetterbericht, der für UK «warm July weather» verspricht – mit Ausnahme des Nordwestens, wo wir gerade stecken. Für Schottland galt gestern noch eine «Flood Warning». Tja, Pech gehabt, aber wie ein Segler, dem wir in Gairloch begegnen meint: «it can only get better.» Und dann hängt er den Satz an, den ich schon lange erwarte: «It’s never been as bad as this before.» Den haben wir hier in Schottland ja auch schon früher immer wieder mal gehört.


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